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Thurvita Chef in den Wiler Nachrichten: “Die Qualität der Pflege hat zugenommen”

Thurvita Chef in den Wiler Nachrichten: “Die Qualität der Pflege hat zugenommen”

Vergangene Woche publizierten nationale Medien beunruhigende Zahlen zu den Schweizer Alters- und Pflegeheimen. Die Wiler Nachrichten haben Alard du Bois-Reymond, CEO der Thurvita AG, gefragt: Wie schlimm ist es wirklich?

Originalartikel unter diesem Link: http://www.wiler-nachrichten.ch/wil-region/detail/article/schweizer-altersheime-in-der-kritik-wie-sieht-es-in-wil-aus-00138856/

 

Eine Auswertung der «SonntagsZeitung» hat gezeigt, dass in Alters- und Pflegeheimen vielerorts diplomierte bzw. zertifizierte Pflegende durch Hilfskräfte ersetzt wurden. Können Sie dieses Vorgehen nachvollziehen?
Alard du Bois-Reymond: Auch in unserer Region ist der Kostendruck für Pflegeheime eine Realität. So wurden beispielsweise im Kanton St.Gallen die Höchstansätze für die Vergütung von Pflegekosten seit 2010 nicht mehr erhöht. Das Umfeld ist sowohl für die Heime als auch für die Spitex schwieriger geworden.

Wie sieht es bei Ihnen aus?
Thurvita wurde 2013 gegründet. Seit 2014 werden die Daten in allen Betrieben einheitlich erfasst, sind also miteinander vergleichbar. Die Lohnkosten für das Pflegepersonal haben im stationären Bereich von 8,68 Millionen Franken im Jahr 2014 auf 8,85 Millionen Franken im 2017 zugenommen. Der Lohnanteil des qualifizierten Pflegefachpersonals (FAGE, diplomiert) ist im selben Zeitraum von 58 auf 60 Prozent gestiegen. In der Pflege wurden insgesamt 10 Personen zusätzlich angestellt. Der Pflegebereich wurde also qualitativ und quantitativ ausgebaut, obwohl Thurvita im selben Zeitraum die Zahl der Betten von 247 auf 241 Betten reduziert hat.

Warum?
Der höhere Personalbestand erklärt sich in erster Linie durch den zunehmenden Pflegebedarf unserer Bewohnenden.

Die Qualität der Pflege nimmt laut dieser Studie bei 299 Heimen ab – das ist jedes fünfte in der Schweiz. Trifft das auch bei Ihnen zu?
Der Anteil des qualifizierten Pflegepersonals hat zugenommen und damit die Qualität der Pflege. Die Qualität der Thurvita-Heime darf aber nicht nur auf die Pflege reduziert werden. Alle Mitarbeitenden tragen zur Qualität unserer Dienstleistungen bei. Thurvita hat im vergangenen Jahr erstmals ihre Kunden umfassend befragt. Die von Qualis durchgeführte Befragung zeigte, dass aus Sicht der Bewohnenden die Qualität der Thurvita deutlich über dem schweizerischen Durchschnitt liegt.

Die Altersheime sehen die Politik in der Pflicht. Sie bräuchten mehr finanzielle Unterstützung.
Die Finanzierung ist heute knapp aber noch ausreichend. Falls geplante Anpassungen, wie beispielsweise die Erhöhung der Höchstansätze für Pflegekosten im Kanton St. Gallen, nicht umgesetzt werden, wird sich das irgendwann in einer Reduktion der Qualität niederschlagen. Politische Sparübungen dürfen nicht auf dem Buckel der hilfebedürftigen betagten Menschen ausgetragen werden.

Vergangene Woche haben Sie die Zahlen der Thurvita AG für das Geschäftsjahr 2017 publiziert. Sie erwirtschafteten einen Gewinn von 176‘000 Franken. Das ist deutlich weniger als im Vorjahr (559‘535). Im Vergleich der letzten Jahre aber ein sehr gutes Resultat. Und das trotz steigenden Personalkosten. Wie haben Sie das geschafft?
Wir arbeiten konsequent an Qualität und Wirtschaftlichkeit unserer Leistungen.

Ein Beispiel?
Ich nenne Ihnen drei. Erstens wird der Personaleinsatz über die Gesamtunternehmung geplant. Belastungsspitzen (z.B. Absenzen, hohe Pflegestufen nach einem Spitalaufenthalt) können so innerhalb von Thurvita aufgefangen werden. Wir können damit weitgehend auf teure Temporär-Anstellungen verzichten. Zweitens wurden die Mitarbeitenden der Pflege so geschult, dass sie alle erbrachten Leistungen konsequent erfassen, damit diese den Krankenkassen in Rechnung gestellt werden können. Und drittens konnte die Produktivität der Sonnenhofküche dank eines innovativen Produktionssystems um mehr als 50 Prozent gesteigert werden. Das Restaurant «Chez Grand Maman» zeigt es: Wir schaffen Wirtschaftlichkeit ohne Kompromisse bei der Qualität.

Sie haben aber grosse Projekte in der Pipeline: das Quartierzentrum Bronschhofen, das Kompetenzzentrum für Demenz und die Rennovation des Sonnenhof.
Das ist natürlich eine Herausforderung. Solche Projekte kosten viel Geld. Allein ein Architekturwettbewerb schlägt mit 200’000 Franken zu Buche. Alle Bauprojekte haben insgesamt ein Investitionsvolumen von rund 100 Millionen Franken. Allein könnten wir das nicht realisieren. Deshalb suchen wir Partner. Für das Quartierzentrum Bronschhofen haben wir diese mit der Genossenschaft für Alterswohnungen und der katholischen Kirchgemeinde bereits gefunden.

Die Thurvita AG ist im Besitz von vier Gemeinden – die grösste davon ist die Stadt Wil. Inwiefern werden Sie von Ihren Besitzern zusätzlich (zu den klassischen Beiträgen pro Bewohner) finanziell unterstützt?
Die Direktzahlung der Stadt Wil an die Heime der Thurvita beträgt 176’000 Franken pro Jahr. Bei einem Betriebsaufwand der Heime von mehr als 22 Millionen Franken sind dies weniger als 1 Prozent der Kosten.

Wie lange werden Sie diese Direktzahlungen noch erhalten?
In unserer Leistungsvereinbarung ist kein fixes Ablaufdatum definiert. Ich gehe aber davon aus, dass das diskutiert wird, sobald das Projekt Quartierzentrum Bronschhofen aktuell wird. Damit verändert sich die klassische Aufteilung von ambulanten und stationären Leistungen.

Der Tagesanzeiger hat gezeigt, dass die Kosten welche die Bewohner selbst bezahlen, in vielen Altersheimen steigen. Auch bei Ihnen?
Im Durchschnitt zahlt ein Heimbewohner insgesamt (d.h. Pflege, Betreuung und Hotellerie) etwa 8000 Franken pro Monat für seinen Aufenthalt. Er zahlt diese Rechnung direkt an Thurvita. Die meisten Bewohnenden können den Grossteil dieser Kosten aber bei den Sozialversicherungen zurückfordern (Krankenkasse, Restfinanzierung der Gemeinde und Ergänzungsleistungen). Die Höhe der Ergänzungsleistungen ist je nach Einkommen- und Vermögenssituation aber individuell sehr unterschiedlich. Weil mehr als zwei Drittel der Heimbewohner Ergänzungsleistungen beziehen, ist eine pauschale Schätzung des Kostenanteils, den die Bewohnenden schlussendlich selbst bezahlen, nicht möglich. Thurvita hat letztmals im Jahr 2014 die Pensionstaxen generell erhöht (zwischen 3 und 4 Franken pro Tag).

Sie sagen «ein Grossteil der Kosten» könne zurückgefordert werden. Was bedeutet das konkret?
Das ist etwas schwierig, weil zwei Drittel unserer Bewohner Ergänzungsleistungen (EL) beziehen. Die Höhe dieser Leistungen ist von verschiedenen Faktoren wie dem Vermögen abhängig. Wir kennen aber die genaue Höhe der Beträge nicht. Anders ist es bei den Beiträgen der Krankenkasse und der Restfinanzierung der Gemeinde. Diese bleiben immer gleich hoch.

Aber: Der eine Drittel Ihrer Bewohner, der keine EL bezieht, zahlt mindestens die Hälfte der 8000 Franken, oder?
Ja, das ist sicher so.

Die Rechnung des Tagi zeigt auf: 587 Heime, sprich ein Drittel, verlangt von den Bewohnern mehr Geld pro Tag für die Pension, als in diesem Bereich tatsächliche Kosten anfallen. Gleichzeitig reisst die Pflege ein Loch in die Kassen der Heime. Es wird quer subventioniert.
Im Durchschnitt aller Thurvita-Betriebe sind die Erträge, die den Kostenträgern Pflege und Hotellerie zugeordnet werden können, jeweils knapp kostendeckend. Mit anderen Worten: Die Pflegekosten werden nicht durch Pensionstaxen subventioniert. Viel wichtiger aber ist die Frage der Quersubventionierung im Bereich der Betreuung: Bis 2016 entsprachen die Betreuungstaxen nicht den tatsächlichen Betreuungskosten der jeweiligen Bewohnenden. Die Bewohnenden mit hohem Pflegebedarf finanzierten die Betreuungskosten der «rüstigen» Bewohnenden. Diese Quersubventionierung hat Thurvita wie die meisten Heime der Region in den Jahren 2015 und 2016 schrittweise aufgehoben.

Die Heime argumentieren, die Beiträge von Gemeinden und Kantonen würden nicht ausreichen.
Es ist wichtig, dass im laufenden Jahr die von der St. Galler Regierung geplante Erhöhung der Vergütung von Pflegekosten auch tatsächlich umgesetzt wird.

Was für ein Zustupf würde das für die Thurvita bedeuten?
Wir würden etwa 1 Million Franken pro Jahr mehr erhalten. Bei einem Umsatz von 30 Millionen Franken ist das natürlich signifikant. Für das kommende Jahr haben wir ein leicht negatives Ergebnis budgetiert. Das ist zwar nicht dramatisch, aber wenn der Kanton keine zusätzlichen Gelder spricht, werden aus der roten Null in absehbarer Zeit wirkliche Verluste werden.

Die Medienberichte erwecken den Eindruck, dass das Versagen der Politik auf dem Buckel der «Wehrlosen», sprich der Alten in unserer Gesellschaft abgeladen wird. Wie ernst ist die Lage wirklich?
Die aktuellen Rahmenbedingungen sind für Heime weiterhin akzeptabel. Heute ist es zu früh von einem Versagen der Politik zu sprechen. Es ist aber wichtig, dass jetzt nicht die falschen Weichen für die Zukunft gestellt werden. Politische Sparübungen dürfen nicht auf dem Buckel von hilfsbedürftigen betagten Menschen ausgetragen werden. Die bestehende Gesetzgebung zementiert zudem bestehende Modelle (Spitex, Heime). Die Kunden wünschen sich neue, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Leistungen – möglichst bei ihnen zu Hause. Neue Modelle, die in der bestehenden Gesetzeslandschaft beinahe nicht finanzierbar sind.


Antworten von Darion Sulzer, Stadtrat von Wil
Herr Dario Sulzer (Stadtrat, Mitglied des Verwaltungsrates der Thurvita AG), die Reportagen und Recherchen der nationalen Zeitungen und SRF deuten ein Versagen der Politik im Bereich der Alters- und Pflegeheime an. Was denken Sie?
Die Umsetzung der Pflegefinanzierung im Kanton St.Gallen funktioniert grundsätzlich gut. Aber es ist schon so, ein Aufenthalt in einem Pflegeheim ist teuer. Während die Pflegekosten für die Bewohnenden begrenzt sind, gehen die Kosten für Pension und Betreuung zu ihren Lasten. Im Kanton St.Gallen können viele Heime ihre Vollkosten in der Pflege nicht mehr decken. Damit sich das nicht auf die Qualität auswirkt und keine Quersubventionierung passiert, ist es wichtig, dass der Kanton die Höchstansätze der Pflegekosten nach oben anpasst.

Sie sitzen als Vertreter der Stadt im Verwaltungsrat der Thurvita AG. Wie gut funktioniert das System Thurvita? Stimmt die Qualität?
Die Thurvita funktioniert sehr gut, was Geschäftsleitung und Mitarbeitende leisten ist eindrücklich. Eine kürzlich durchgeführte externe Umfrage hat gezeigt, dass die Heimbewohnenden mit der Qualität der Thurvita-Leistungen überdurchschnittlich zufrieden sind. Das ist sehr erfreulich.